Revolver 39

VORWORT

Auge und Ohr werden gerne als ‚audiovisuell‘ zusammengefasst, aber wir alle wissen, dass das Hören aus reiner Höflichkeit zuerst genannt wird. Die meisten Filme jedenfalls privilegieren das Auge, zumindest wenn es um den Einsatz von Produktionsmitteln geht, aber eben auch intellektuell. Entsprechend wird die Geschichte des Films oft als visuelle Entwicklung erzählt und das Aufkommen des Tons als Störung und Rückfall in ein mediengeschichtlich älteres Register. Aber nicht nur war der Ton immer schon da (mit zum Teil erstaunlichen Soundeffekten und variantenreicher Musikbegleitung), auch der Übergang zum Synchronton hat das Kino durchaus nicht zu jenem ‚abgefilmten Theater‘ gemacht, das noch heute als Definition für das ‚Unfilmische‘ herhalten muss. In Lucrecia Martels Kino spielt der Ton eine zentrale Rolle; sie spricht vom Akustischen als dem einzigen Element, das den Körper des Zuschauers (und nicht nur das Ohr) im Wortsinne berührt und umfängt. Ihre Ausführungen, die dieses Heft eröffnen, werfen ein Schlaglicht auf eine vernachlässigte akustische Filmgeschichte, und zugleich auf das „Unerhörte“ und Bahnbrechende ihres Kinos: die Anwesenheit des Unsichtbaren. Und wer weiß, vielleicht lässt sich dieses scheinbare Kino-Paradoxon auch als Klammer gebrauchen, die Texte dieser Ausgabe zu lesen.

Die Redaktion

Revolver 38

Vorwort

Revolver feiert mit dieser Ausgabe seinen 20. Geburtstag. Ein hohes Alter für eine Filmzeitschrift. Wir reiben uns selbst verwundert die Augen. Am 15.03.1998 sind drei* von uns aus München mit dem Kombi in den Norden aufgebrochen, um Lars von Trier und seine damalige Produzentin Vibeke Windeløw in Kopenhagen zu interviewen. Das war der Startschuss. Wir wollten das Lernen selbst in die Hand nehmen damals, und wir wollten von Leuten lernen, die wir für ihre Arbeit bewunderten. Die Zeitschrift war zu Anfang so etwas wie die Suche nach Wasser – die Münchner Filmhochschule schien uns wie eine Wüste, voller Leute, die von Dingen redeten, die sie nicht selbst erfahren hatten und vermutlich nie erfahren würden. Also zogen wir aus, die Macher zu befragen, deren Filme uns wirklich bewegten.

Mit Lars von Trier sprachen wir damals über Idioten und das Dogma 95, einen Text, den Revolver dann als erste Zeitschrift in Deutschland veröffentlicht hat. Guru, der er ist, hat uns von Trier damals gefragt, ob wir die „Bruderschaft” nicht nach Deutschland tragen wollten, als Missionare eines neuen Films gewissermaßen, aber daraus ist dann nichts geworden, auch weil wir in der Redaktion nie jenen Grad an Übereinstimmung hatten, der für diese Art von Agitation notwendig ist. Den Film zu „uniformieren”, wie es das Dogma forderte, wollte uns nicht einleuchten, und so hat sich schon im ersten Heft jene Vielstimmigkeit entwickelt, die Revolver noch heute ausmacht. Anfang Juni 1998 ist die schwarze Nummer 1 dann endlich erschienen.

Wir wollten – und wollen – ein Forum sein für einen lebendigen Film der Gegenwart, der sich seiner Wurzeln bewusst ist, ohne sich vom Kino der alten Meister einschüchtern zu lassen. Aber wir mussten bald feststellen, dass sich ein Forum nicht von selbst füllt, ja dass das Bedürfnis sich zu äußern in Deutschland nicht sehr entwickelt ist. „Freiwillige” Beiträge gab es zunächst eher selten, und seltener noch solche, die zu unserem Anspruch passten, eine Theorie der Praxis zu entwickeln.

Es sollte immer auch darum gehen, den deutschsprachigen Film bzw. die Filmpraxis selbst zu beeinflussen. Revolver wollte eine Plattform sein für Positionen zum Film, die dem Leser, anderen Filmemachern, uns, helfen, selbst Position zu beziehen. „Wir glauben an einen Zusammenhang zwischen dem Niveau einer Diskussion über Film und den Filmen selbst”, so haben wir es einmal formuliert, wobei wir eben nicht die „schöngeistige”, feuilletonistische Diskussion meinten, sondern die Diskussion unter Gleichen, den Abgleich von Erfahrungen, den Transfer von Wissen, der sich an den Filmhochschulen eben nicht befriedigend organisieren ließ.

An diesem großen Bündel von Ansprüchen haben wir mal schwerer, mal leichter getragen; die Hefte sind so auch zum Protokoll einer Suche geworden nach den Filmen, die wir selbst machen wollten. Und sicherlich begegnet man so mancher Erkenntnis – und manchem Irrtum – dem Revolver seither Raum gegeben hat, in unseren Filmen und in den Filmen unserer Leser wieder.

Mit den Jahren ist natürlich dann doch so etwas wie ein inhaltlicher Kern entstanden, und wir, die wir mittendrin stecken, können ihn vermutlich nicht so präzise benennen wie der „neutrale” Leser. Aber in jedem Falle gehört zu diesem Kern die Annahme, dass es unsere Chance ist, radikale Filme zu machen.

Wir streiten für einen persönlichen Film, einen Film, der aus dem Standpunkt eines Autors hervorgeht – im Unterschied zu dem Industrieprodukt, das mit einer Zahl im Kopf beginnt. Und wir glauben, dass sich dieser persönliche, radikale Film verbünden muss, um überleben zu können. Deshalb tauchen in unseren Heften immer wieder kooperative Strukturen auf, Familienmodelle und Freundschaftsbande. Über alle weiteren Fragen, ästhetisch, dramaturgisch, politisch, sind wir uns letztlich nie einig gewesen – und das wird auch (hoffentlich) so bleiben.

* Mit dabei waren Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler und Peer Klehmet (der allerdings nur am ersten Heft mitgewirkt hat). Nicht in Kopenhagen, aber Mitbegründer des Projekts waren damals auch Sebastian Kutzli (Ausgabe 1-7) und Jens Börner (Ausgabe 2-28). Heute wird Revolver im Kollektiv herausgegeben von (in alphabetischer Reihenfolge) Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler, Franz Müller, Marcus Seibert, Nicolas Wackerbarth, Saskia Walker. Weiterhin gehören der Redaktion an: Hannes Brühwiler, Istvan Gyöngyösi, Zsuzsanna Kiràly, Cécile Tollu-Polonowski. Revolver erscheint seit 2001 im Verlag der Autoren, Frankfurt.

Die Herausgeber

Elternzeit

Elternzeit (Kindle Single)

Bei Amazon gibt es die Möglichkeit Erzählungen, die man aufgrund ihrer Länge vermutlich früher „Novellen“ genannt hätte, einzeln zu veröffentlichen. Diese Erzählung, die am 3. April erscheint (für Link zum Beispiel Foto anklicken), ist nun meine zweite in dieser Rubrik. Es geht um Schlaflosigkeit und Ausflüge mit Kleinkindern ins Büro, das man bei aller Kinderliebe allmählich vermisst.

„Baby Lili ist da und ihr Papa verbringt seine Tage nun nicht mehr mit Layouts und Logos in der Werbeagentur, sondern zu Hause bei ihr, in Elternzeit. Die turbulenten ersten Monate mit einem Säugling fordern allmählich ihren Tribut und zwischen Windelwechseln, Fläschchen geben und Koliken wegstreicheln schreckt er aus Albträumen und Tagträumen hoch; die Müdigkeit ist zum ständigen Begleiter geworden. Und so glücklich er mit seiner kleinen Tochter ist, manchmal sehnt er sich doch zurück an den Schreibtisch. Eines Morgens, als Lili wie üblich zu nachtschlafender Zeit erwacht, setzen sich die beiden ins Auto und machen eine Spritztour. Nur ein kurzer Abstecher ins Büro – mit ungeahnten Folgen!“ (Verlagsinformation)

Filmfunke. 50 Jahre DFFB

Herausgegeben von Nicolas Wackerbarth und Marcus Seibert, DFFB Selbstverlag 2018, Bestellung über http://www.dffb.de/filmfunke-50-jahre-dffb-buchveroeffentlichung/ oder in ausgewählten Filmbuchhandlungen

Die gesammelten Texte reichen von Betrachtungen über prägende Seminare und Filme bis hin zu Aussagen über den Beginn der eigenen Selbsteinschätzung als Filmemacher*in, der Erfahrung eines nicht lernbaren Eigensinns. Das Filmbuch reflektiert das funkensprühenden Spannungsfeld zwischen Lehre und Widerstand, das eine reiche Geschichte an der DFFB hat. Mit Beiträgen von Angela Schanelec, Ulrich Seidl, Helke Sander, Lav Diaz, Christian Petzold, Cristina Nord, Einar Schleef, Hartmut Bitomsky, Ulrike Ottinger, Harun Farocki u.v.a.

Revolver 37

Wie viel Demut verträgt Kunst eigentlich? Sind nicht der Mut zum Größenwahn und Demut zwei Antipoden, die es erstaunlicherweise braucht für ein Kunstwerk? So mancher predigt, man solle sich nicht so wichtig nehmen, die anderen machen lassen, das Fremde umarmen und echtes Wachstum zulassen. Hinter den Kulissen ist das Herrschen jedoch meist stärker vertreten als das Teilen. Gerade Filme entstehen nicht ohne massiven Kraftaufwand. Sie müssen verteidigt und am Leben gehalten werden. Sie existieren zuerst und zuletzt im Kopf und im Herzen einzelner Personen, die den ganzen Prozess steuern. Aber was bedeutet Demut in der Kunst dann? Demut vor dem, was abgebildet werden darf? Das Bewusstsein der eigenen Begrenztheit, im Denken, im Beobachten, im Gestalten? Das Bewusstsein, auf andere angewiesen zu sein? Würdigen, was andere erreicht haben?

Die Autoren und Gesprächspartner in diesem Heft widmen sich diesen Fragen und liefern ganz unterschiedliche Versionen einer Arbeitspraxis zwischen Demut und Hybris…

Die Redaktion

Interview: Thomas Heise
Jessica Hausner: Rede an der DFFB
Revolver Live! Matías Piñeiro
Saskia Walker: Ich bin nicht cinephil
Vincent Macaigne: SMS aus Köln
Franz Müller: Teppiche
Revolver Live! Myth/Document – Nina Menkes

Revolver 36

Was ist das Kino anderes als der Versuch, die Welt neu zusammenzusetzen, Einstellung für Einstellung, Wort für Wort, in der Hoffnung, eine Form zu finden, in der alles Sinn ergibt? Aber wie man es dreht und wendet, am Ende lässt sich die Wirklichkeit nicht bündig machen. Und zeigt sich die Größe eines Filmes nicht gerade im Umgang mit jenem Rest, den Scherben und wandernden Splittern des Wirklichen? In der Hoffnung, mit dieser Frage im Hinterkopf die Lektüre zu erhellen:

Die Redaktion

Inhalt
Vorwort
Revolver Live! Axelle Ropert
Mariano Llinás: Ein paar Tricks von Lubitsch
Interview Werner Nekes: Was ist Zeit im Film?
Interview: Händl Klaus
Raymond Depardon: Empty Quarter
Revolver Live! Sergei Loznitsa

Revolver 35

Revolver war in seinen Anfängen kein cinephiles Projekt. Im Gegenteil hatten wir die bedingungslose „Liebe zum Kino” lange im Verdacht, Filmemacher von der Welt zu entfremden. Wir wollten keine „Grottenmolche” werden, sondern mit dem Kino ins Leben gehen, auf das Leben wirken. Wenn wir heute eine ganze Ausgabe der Cinephilie widmen – eine absolute Anomalie „Revolver 35“ weiterlesen

Revolver 34

Sollten wir heute andere Filme machen als gestern? Haben wir überhaupt eine Wahl, oder wird die neue Lage, der neue gute oder böse Geist, sowieso durch uns und unsere Filme hindurch atmen? Manche machen drei Filme im Jahr, immer am Puls der Zeit, Stachel im Fleisch einer Gesellschaft, oder wenigstens spielerische Ausprobierer in Form und Gefühl. „Revolver 34“ weiterlesen

Vergessen

Während der Schulzeit wollte ich schreiben, wusste aber nicht worüber. Mein eigenes Leben kam mir nicht erzählenswert vor, nicht einmal mein buntes Innenleben. Während des Studiums habe ich geglaubt, um zu schreiben, müsse man dem Ideal des poeta doctus folgen, des Schreibers, der alles Wissen in sich aufsaugt. Zu dieser Zeit habe ich kaum etwas geschrieben und schließlich angefangen, journalistisch zu arbeiten. Nach dem Studium habe ich mit dem Schreiben ernst gemacht und bin beim Fernsehen gelandet, dessen Regeln ich über die Jahre verinnerlicht habe. Ich musste dafür viel von dem vergessen, was ich vorher gelernt hatte. Überhaupt habe ich den Eindruck, große Teile meines Lebens mit Lernen und anschließendem Vergessen des Gelernten verbracht zu haben. Inzwischen versuche ich nun zu vergessen, was ich beim Schreiben für Fernsehen gelernt habe, weil ich merke, dass die dort herrschenden Regeln die Möglichkeiten dessen beschneiden, was man schreiben und filmen kann. Es ist nicht ganz einfach zu sehen, was danach übrigbleibt. Aber jenseits der selbstverordneten Demenz und des Schrecks, der mich manchmal befällt, wenn das Vergessen funktioniert, habe ich den Eindruck zu einer Freiheit zu gelangen, die anders nicht möglich war.

7. April 2016

Körperkino

Gestern habe ich mit einiger Verspätung Tore tanzt von Katrin Gebbe auf DVD gesehen. Die Kritiken sind alle geschrieben. Man muss dem nichts hinzufügen. Der Film wurde von Frederic Jaeger als „immersives Körperkino“ bezeichnet, was vielleicht einen Teil der Faszinationskraft des Films beschreibt. Die Körper bewegen sich, ob linkisch, exstatisch oder gewaltsam mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit durch Randräume unserer Gegenwart, besetzte Häuser, Schrebergärten, Parkplätze von Einkaufszentren.

Die Kamera ist immer nah dran, Handkamera. Die Bilder sind bei aller Bodenständigkeit der Motive teils stark stilisiert: Nebel in der Disko, dem Briefträger werden seine Briefe weggeweht. Die Epilepsie-Erkrankung des Hauptdarstellers liefert mehrfach den Vorwand für Zeitlupen. Alles das legitime Mittel eines Films, der die kinematographischen Mittel emotionalen Erzählens im Sinne einer dystopischen Erzählung nutzt: ein „Jesus-Freak“ unter „Kleingartenzombies“, wie er selbst mal als Witz sagt. Die Kalkulation und gleichzeitig die seltsam schwebende Unbestimmbarkeit der Bilder und Emotionen macht auf jeden Fall den Reiz dieses Debuts aus, das nur im Wortlaut der Dialoge und da auch keineswegs immer auf die Zufälligkeit der Improvisation zu setzen scheint.

Wie in Love Steaks ist der Held, dargestellt von Julius Feldmeier, ein „tumber Tor“, der seinen Namen offenbar dieser Eigenschaft verdankt und gleich mal mit einer Flusstaufe als junger Jesus-Jünger eingeführt wird. Der Film setzt zum Glück weniger auf Slapstick als Love Steaks und setzt seine Hauptfigur höchstens durch den absurden, aber unerschütterlichen Glauben an das Gute im Reich des Bösen ins Unrecht. Es gibt eben kein Richtiges im Falschen. Das dekliniert dieser Film mit großer Folgerichtigkeit gegen seine Hauptfigur durch, manchmal gegen Ende mit zu großer Folgerichtigkeit.

Interessant ist dabei die Zuordnung von Gut und Böse: Tore, der Jesus-Freak wirkt in weiten Teilen des Films wie ein hilfloser Bildungsbürgergutmensch, der unter Pegida-Anhänger gefallen ist. Tore ist blond (!), dürr, hat ein „unschuldiges Lächeln“, das manchen Kritikern auf den Geist gegangen ist, mir nicht, weil es in der Konsequenz einer Figur liegt, die eben auch eine Mimik fordert. Die Bösen sind dunkelhaarig, tätowiert, sie haben schlimme Frisuren und tragen billige Kleidung, Camouflage-Westen, Lederjacken oder ein Kleid im Leopardenmuster. Die Kunden von kik und lidl, die Subproletarier aller Länder können nicht anders, als den zwischen sie gefallenen blonden Engel im Kleingarten zu quälen und am Ende zu töten.

In dieser Perspektive ist die moralische Konsequenz des Films leider unerfreulich: Das Böse, mit all den anklingenden Tönen einer nationalsozialistischen Vergangenheit, wird nicht – wie bei den vermutlichen Vorbildern von Haneke oder Glasner – auf der Ich-Ebene des Helden gesucht oder gefunden, sondern in den fernen moralischen Sümpfen der Kleingartenidyllen, beim White Trash, der in einem in Einzelpunkten vergleichbaren Film wie Wintersbone einheitlich das Milieu für alle moralischen Valeurs abgibt. Das sind bei Tore tanzt aber ganz klar „die Anderen“, eine Welt, in die Tore durch einen dummen Zufall hineintanzt. Anders als etwa in den Kleinbürgerdramen und -komödien, die Regisseure wie Andreas Dresen so gerne erzählen, in denen schlechter Stil und Grillparties im Kleingarten sich mit menschlicher Wärme vertragen.

Der gute Bürger, dem das Opfer bei aller Schrägheit der Jesus-Freaks als vertretende Ich-Instanz angeboten wird, lehnt sich zurück und hat die Fiesen jenseits der eigenen Bekanntenkreise als fremde Antagonisten schnell identifiziert. Die Gewinner des kalkulierten Menschenopfers der Geschichte sind die Kinder der Bösen, die eine Freiheit gewinnen, die sie ohne Eindringen von Tore in ihre Welt nie geahnt hätten. Stark die Szenen einer Beziehungsanbahnung, die an der Keuschheit des Jesus-Freaks scheitern, wie die große Liebe an der Hartnäckigkeit, sie zu verfolgen.

Die Abrechnung mit den Gottlosen hat trotz des Versuchs, Tores Todestrieb als Folge seiner Verliebtheit zu erklären, bei mir einen schalen Nachgeschmack hinterlassen: Damit das Ganze funktioniert, der Gute ungetrübt gut bleiben kann, muss sich Benno, gespielt von Sascha Alexander Gersak, die Inkarnation des Bösen, den Tore als seine persönliche „Prüfung“ begreift, vom Wohltäter zum Todfeind wandeln. Naheliegend die Steigerungsformen: Er schlägt Tore aus Ärger, wie man bald erfährt auch aus Eifersucht, weil Benno seine Stieftochter regelmäßig missbraucht und verkauft Tore schließlich als Strichjungen, damit die Familie sich einen neuen Flatscreen leisten kann. Ein bisschen viel. Ein bisschen künstlich in seiner Dramaturgie, wie die Kapiteleinteilungen Glaube, Liebe, Hoffnung.

In diesem „Körperkino“ sind alle Beziehungen durchgängig sexualisiert und vollständig von der verheerenden paternalen Vorherrschaft geprägt. Sexualität taucht hier nicht als Option oder Horizont der Freiheit auf, sondern als Ware und Instrument der Unterdrückung. So weit, so wenig romantisch und stark. In der Konsequenz mischt sich allerdings am Schluss auch noch die schlecht gekleidete Nachbarin nach einer Trivial-Persuit-Spielrunde – Gesellschaftsspiele sind eben auch teuflische Vergnügungen – in die sadistische Folter des Unschuldigen. Als wollten sich die Alten, die Zombies in einer finalen Orgie am jungen Unschuldslamm für ihr Altern, für ihr untotes Dasein rächen. Grundsätzlich auch das ein interessantes Motiv. Aber alles zusammen ein bisschen dicke, zu sehr dann doch auf drallen Effekt, Furcht und Mitleid gesetzt, damit am Schluss ein sauberes quid pro quo in die jeweiligen Waagschalen des jüngsten Gerichts geworfen werden kann. Das Kopfkino, das der Film über weite Strecken trotz aller Körperlichkeit wunderbar bedient, kommt da am Schluss etwas zu kurz. Trotzdem: Mal sehen, was da noch kommt.

Mittwoch, 10. Februar 2016