Luc Dardenne: Die Rückseite unserer Bilder I (1991-2005)

Übersetzt und mit einem Vorwort von Marcus Seibert

»Sich von allen Bildern […] befreien«, um neue und sehr einfache Bilder zu finden – so könnte man das Credo der Brüder Dardenne fassen. Das Arbeitstagebuch von Luc Dardenne zeigt, wie die Gebrüder Dardenne die Arbeitsweise ihrer früheren Dokumentarfilme zum Erfolgsrezept ihrer Spielfilme umgedeutet haben. Ausgangspunkt ist stets ein realer gesellschaftlicher Konflikt, mitunter eine Zeitungsnotiz aus der Rubrik Vermischtes.

Die Brüder entwickeln in langen Diskussionen daraus einen ›filmischen Stoff‹ und ein Drehbuch. Das steht bei den Dreharbeiten jedoch nicht im Mittelpunkt. Es geht um eine dokumentarische Wahrheit der Bilder, der Präsenz der Schauspielenden, die in den ersten Filmen ausschließlich Laien waren, und nicht um das technisch perfekte Spiel. Der industriellen Verfertigung von Spielfilmen wird mit radikaler Einfachheit der Mittel, mit der Arbeit an Originalschauplätzen und einem gewissen »Brutismus« im Umgang mit Licht, Ton und Kamera eine Absage erteilt. 

Die vorliegenden Tagebücher von Luc Dardenne sind Notate, die nicht die Drehs der beiden Brüder dokumentieren, sondern die Arbeit an ihren Filmen in anderen Filmen und Beobachtungen aus Literatur und Philosophie spiegeln und reflektieren.

Luc Dardenne. Die Rückseite unserer Bilder I (1991-2005)
Band 24, Texte zum Dokumentarfilm
Herausgeberin: dfi – Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW
Herausgegeben von: Marcus Seibert
176 S. | Br. | EUR 23 
ISBN 978-3-947238-45-3
Im Buchhandel erhältlich!

Lukas Hoffmann: Strassenbilder

Strassenbilder, Atelier EXB Paris, 2023 100 pages, 27 plates in duotone, with a text by Anne Bertrand in French, English, German. Collector’s edition available on publisher’s website. German translation: Marcus Seibert

Claude Sautet: Regisseur der Zwischentöne

Michel Boujut, Claude Sautet
Gespräche mit Michel Boujut. Aus dem Französischen von Marcus Seibert, 2022

François Truffaut nannte Claude Sautet den »französischsten aller Regisseure«; für Romy Schneider war er der wichtigste Filmemacher ihrer Karriere, der sie zur weltberühmten Ikone machte. Zu Lebzeiten als Regisseur von Liebesbanalitäten unterschätzt, »wirkt der Gigant jetzt wie einer der letzten großen lebensklugen Erfolgsregisseure des französischen Kinos« (Dominik Graf).

Sautet realisierte unter Verzicht auf alles Spektakuläre poetisch-melancholische Filme und arbeitete mit den Großen des französischen Kinos seiner Zeit: Lino Ventura, Jean-Paul Belmondo, Romy Schneider, Michel Piccoli, Yves Montand, Gérard Depardieu, Daniel Auteuil, Emmanuelle Béart.

Die Gespräche, die der Sautet-Kenner Michel Boujut mit dem publikumsscheuen Regisseur geführt hat, erschließen das Werk sowie die Intentionen des Filmemachers.

»Die Dinge passieren nie, wie wir es erwarten. Das ist das Thema aller meiner Filme.« Claude Sautet

»Sautet hat mich die Dinge des Lebens gelehrt, er hat mir etwas über mich selbst beigebracht.« Romy Schneider

Achtung, Achtung, hier spricht das Filmbüro!

42 Jahre unabhängiger Film

Das Filmbüro NW entstand 1980 als erste nordrhein-westfälische Filmförderung, gegründet von Filmemacher:innen, die Hellmuth Costards Slogan nach einem Disney-Titel „Die Wüste lebt“ beweisen wollten. Zum 40. Jubiläum 2020 sollte ursprünglich eine Broschüre begleitend zu einem großen Fest erscheinen.

Herausgekommen sind statt eines Festes nach drei Jahren Vorbereitung 416 pralle Seiten, Geschichte,  Drehberichte und Anekdoten des nordrhein-westfälischen Films. 124 Texte von Mitgliedern oder geförderten Autor:innen – von Claudia von Alemann bis Andres Veiel – versammeln Erinnerungen, Interviews, filmästhetische Betrachtungen, Wiederabdrucke vergriffener Texte und alte Fotos aus Archiven. Man erfährt, inwiefern Helge Schneider seine Perücke dem Filmbüro verdankt und wieso Bischkek und Havanna Satelliten des NRW-Films waren. Viele Wiederabdrucke teils nicht mehr zugänglicher Texte, ein ausgiebiges Register und die Vielzahl an Originalfotografien machen das Buch zu einer Fundgrube der Geschichte des bundesdeutschen Films nach 1980.  

Mit Texten von: Adolf Winkelmann, Werner Nekes, Helge Schneider, Christoph Schlingensief, Monika Treut, Jan Bonny u.v.m.

Hrsg. Marcus Seibert und Christian Fürst für das Filmbüro NW

Grafik und Verlag: Carmen Strzelecki

https://www.strzelecki-books.com/film/store-produkte-film/

 

Revolver 39

VORWORT

Auge und Ohr werden gerne als ‚audiovisuell‘ zusammengefasst, aber wir alle wissen, dass das Hören aus reiner Höflichkeit zuerst genannt wird. Die meisten Filme jedenfalls privilegieren das Auge, zumindest wenn es um den Einsatz von Produktionsmitteln geht, aber eben auch intellektuell. Entsprechend wird die Geschichte des Films oft als visuelle Entwicklung erzählt und das Aufkommen des Tons als Störung und Rückfall in ein mediengeschichtlich älteres Register. Aber nicht nur war der Ton immer schon da (mit zum Teil erstaunlichen Soundeffekten und variantenreicher Musikbegleitung), auch der Übergang zum Synchronton hat das Kino durchaus nicht zu jenem ‚abgefilmten Theater‘ gemacht, das noch heute als Definition für das ‚Unfilmische‘ herhalten muss. In Lucrecia Martels Kino spielt der Ton eine zentrale Rolle; sie spricht vom Akustischen als dem einzigen Element, das den Körper des Zuschauers (und nicht nur das Ohr) im Wortsinne berührt und umfängt. Ihre Ausführungen, die dieses Heft eröffnen, werfen ein Schlaglicht auf eine vernachlässigte akustische Filmgeschichte, und zugleich auf das „Unerhörte“ und Bahnbrechende ihres Kinos: die Anwesenheit des Unsichtbaren. Und wer weiß, vielleicht lässt sich dieses scheinbare Kino-Paradoxon auch als Klammer gebrauchen, die Texte dieser Ausgabe zu lesen.

Die Redaktion

Revolver 38

Vorwort

Revolver feiert mit dieser Ausgabe seinen 20. Geburtstag. Ein hohes Alter für eine Filmzeitschrift. Wir reiben uns selbst verwundert die Augen. Am 15.03.1998 sind drei* von uns aus München mit dem Kombi in den Norden aufgebrochen, um Lars von Trier und seine damalige Produzentin Vibeke Windeløw in Kopenhagen zu interviewen. Das war der Startschuss. Wir wollten das Lernen selbst in die Hand nehmen damals, und wir wollten von Leuten lernen, die wir für ihre Arbeit bewunderten. Die Zeitschrift war zu Anfang so etwas wie die Suche nach Wasser – die Münchner Filmhochschule schien uns wie eine Wüste, voller Leute, die von Dingen redeten, die sie nicht selbst erfahren hatten und vermutlich nie erfahren würden. Also zogen wir aus, die Macher zu befragen, deren Filme uns wirklich bewegten.

Mit Lars von Trier sprachen wir damals über Idioten und das Dogma 95, einen Text, den Revolver dann als erste Zeitschrift in Deutschland veröffentlicht hat. Guru, der er ist, hat uns von Trier damals gefragt, ob wir die „Bruderschaft” nicht nach Deutschland tragen wollten, als Missionare eines neuen Films gewissermaßen, aber daraus ist dann nichts geworden, auch weil wir in der Redaktion nie jenen Grad an Übereinstimmung hatten, der für diese Art von Agitation notwendig ist. Den Film zu „uniformieren”, wie es das Dogma forderte, wollte uns nicht einleuchten, und so hat sich schon im ersten Heft jene Vielstimmigkeit entwickelt, die Revolver noch heute ausmacht. Anfang Juni 1998 ist die schwarze Nummer 1 dann endlich erschienen.

Wir wollten – und wollen – ein Forum sein für einen lebendigen Film der Gegenwart, der sich seiner Wurzeln bewusst ist, ohne sich vom Kino der alten Meister einschüchtern zu lassen. Aber wir mussten bald feststellen, dass sich ein Forum nicht von selbst füllt, ja dass das Bedürfnis sich zu äußern in Deutschland nicht sehr entwickelt ist. „Freiwillige” Beiträge gab es zunächst eher selten, und seltener noch solche, die zu unserem Anspruch passten, eine Theorie der Praxis zu entwickeln.

Es sollte immer auch darum gehen, den deutschsprachigen Film bzw. die Filmpraxis selbst zu beeinflussen. Revolver wollte eine Plattform sein für Positionen zum Film, die dem Leser, anderen Filmemachern, uns, helfen, selbst Position zu beziehen. „Wir glauben an einen Zusammenhang zwischen dem Niveau einer Diskussion über Film und den Filmen selbst”, so haben wir es einmal formuliert, wobei wir eben nicht die „schöngeistige”, feuilletonistische Diskussion meinten, sondern die Diskussion unter Gleichen, den Abgleich von Erfahrungen, den Transfer von Wissen, der sich an den Filmhochschulen eben nicht befriedigend organisieren ließ.

An diesem großen Bündel von Ansprüchen haben wir mal schwerer, mal leichter getragen; die Hefte sind so auch zum Protokoll einer Suche geworden nach den Filmen, die wir selbst machen wollten. Und sicherlich begegnet man so mancher Erkenntnis – und manchem Irrtum – dem Revolver seither Raum gegeben hat, in unseren Filmen und in den Filmen unserer Leser wieder.

Mit den Jahren ist natürlich dann doch so etwas wie ein inhaltlicher Kern entstanden, und wir, die wir mittendrin stecken, können ihn vermutlich nicht so präzise benennen wie der „neutrale” Leser. Aber in jedem Falle gehört zu diesem Kern die Annahme, dass es unsere Chance ist, radikale Filme zu machen.

Wir streiten für einen persönlichen Film, einen Film, der aus dem Standpunkt eines Autors hervorgeht – im Unterschied zu dem Industrieprodukt, das mit einer Zahl im Kopf beginnt. Und wir glauben, dass sich dieser persönliche, radikale Film verbünden muss, um überleben zu können. Deshalb tauchen in unseren Heften immer wieder kooperative Strukturen auf, Familienmodelle und Freundschaftsbande. Über alle weiteren Fragen, ästhetisch, dramaturgisch, politisch, sind wir uns letztlich nie einig gewesen – und das wird auch (hoffentlich) so bleiben.

* Mit dabei waren Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler und Peer Klehmet (der allerdings nur am ersten Heft mitgewirkt hat). Nicht in Kopenhagen, aber Mitbegründer des Projekts waren damals auch Sebastian Kutzli (Ausgabe 1-7) und Jens Börner (Ausgabe 2-28). Heute wird Revolver im Kollektiv herausgegeben von (in alphabetischer Reihenfolge) Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler, Franz Müller, Marcus Seibert, Nicolas Wackerbarth, Saskia Walker. Weiterhin gehören der Redaktion an: Hannes Brühwiler, Istvan Gyöngyösi, Zsuzsanna Kiràly, Cécile Tollu-Polonowski. Revolver erscheint seit 2001 im Verlag der Autoren, Frankfurt.

Die Herausgeber

Elternzeit

Elternzeit (Kindle Single)

Bei Amazon gibt es die Möglichkeit Erzählungen, die man aufgrund ihrer Länge vermutlich früher „Novellen“ genannt hätte, einzeln zu veröffentlichen. Diese Erzählung, die am 3. April erscheint (für Link zum Beispiel Foto anklicken), ist nun meine zweite in dieser Rubrik. Es geht um Schlaflosigkeit und Ausflüge mit Kleinkindern ins Büro, das man bei aller Kinderliebe allmählich vermisst.

„Baby Lili ist da und ihr Papa verbringt seine Tage nun nicht mehr mit Layouts und Logos in der Werbeagentur, sondern zu Hause bei ihr, in Elternzeit. Die turbulenten ersten Monate mit einem Säugling fordern allmählich ihren Tribut und zwischen Windelwechseln, Fläschchen geben und Koliken wegstreicheln schreckt er aus Albträumen und Tagträumen hoch; die Müdigkeit ist zum ständigen Begleiter geworden. Und so glücklich er mit seiner kleinen Tochter ist, manchmal sehnt er sich doch zurück an den Schreibtisch. Eines Morgens, als Lili wie üblich zu nachtschlafender Zeit erwacht, setzen sich die beiden ins Auto und machen eine Spritztour. Nur ein kurzer Abstecher ins Büro – mit ungeahnten Folgen!“ (Verlagsinformation)

Filmfunke. 50 Jahre DFFB

Herausgegeben von Nicolas Wackerbarth und Marcus Seibert, DFFB Selbstverlag 2018, Bestellung über http://www.dffb.de/filmfunke-50-jahre-dffb-buchveroeffentlichung/ oder in ausgewählten Filmbuchhandlungen

Die gesammelten Texte reichen von Betrachtungen über prägende Seminare und Filme bis hin zu Aussagen über den Beginn der eigenen Selbsteinschätzung als Filmemacher*in, der Erfahrung eines nicht lernbaren Eigensinns. Das Filmbuch reflektiert das funkensprühenden Spannungsfeld zwischen Lehre und Widerstand, das eine reiche Geschichte an der DFFB hat. Mit Beiträgen von Angela Schanelec, Ulrich Seidl, Helke Sander, Lav Diaz, Christian Petzold, Cristina Nord, Einar Schleef, Hartmut Bitomsky, Ulrike Ottinger, Harun Farocki u.v.a.